Volltext: Jahresbericht 1957 (1957)

Werken aber — schon die Gegenüberstellung mit dem als 
Leihgabe im Zürcher Kunsthaus ausgestellten Frauenkopf aus 
der Zeit um 100 n. Chr. kann dies lehren — verhält sich das 
neue Porträt dem ihn umgebenden Raume gegenüber merk- 
würdig selbstherrlich, fast abweisend, doch wohl gerade 
darum, weil die Form des Schädels infolge der satt anliegen- 
den knappen Frisur mit so scharfer Begrenzung heraustritt. 
Sie wirkte noch entschiedener, als die wahrscheinlich schwarze 
Bemalung des Haares noch erhalten war. Betrachtet man den 
Kopf im Sonnenlicht, für das antike Plastik ja geschaffen ist, 
so zeigt sich, daß die starke Glättung der Oberfläche durch die 
volle Reflektierung ebenso dieser verdichtenden, abschalenden 
Wirkung des Körpers dient. 
All dies macht deutlich, daß wir es mit dem Werk einer Zeit 
des Umbruchs zu tun haben, in der alte Werte zurücktreten 
und Neues sich an ihre Stelle drängt — einer fragenden, suchen- 
den Zeit. Nicht allein aus der künstlerischen Gestaltung, 
ebenso und deutlicher vernehmbar noch spricht dieses Suchen 
und Fragen aus der Miene des Dargestellten. Wir haben vor- 
her wahrgenommen, wie der Rhythmus der körperlichen Be- 
wegung in den Blick ausströmt, und dieser Blick ist es nun 
auch, der sich als Zentrum des Ausdruckes erweist. Die Augen 
sehen den Betrachter nicht an, sind überhaupt nicht auf ein 
irdisches Gegenüber gerichtet, sondern schauen in die Ferne, 
eine Ferne, die über dem Horizont liegt. Dieses Himmelwärts- 
blicken hat innerhalb der Entwicklung des antiken Bildnisses 
seine eigene Geschichte, die mit Lysipps berühmter Statue 
Alexanders des Großen beginnt und Darstellungen von dessen 
Nachfolgern und Nachahmern unter den griechisch-helleni- 
stischen und den römischen Herrschern umfaßt. Bei Septimius 
Severus, mit dem wir die Schwelle zum dritten nachchrist- 
lichen Jahrhundert überschreiten und bereits in die Nähe der 
Stilstufe unseres Bildnisses kommen, wirkt diese Haltung be- 
sonders theatralisch; um so klarer enthüllt sich uns ihr Sinn: 
der Kaiser weist auf seine Verbundenheit mit den Göttern hin, 
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