sein Schaffen bestimmte, nachdem er zuvor
schon in der milderen Landschaft der Brianza
das Bauern- und Hirtenleben gemalt hatte,
wobei Erlebnisse seiner frühen Jugend auf
dem Lande mitwirkten. Was Segantini an den
Alpen anzog, war ihre Unberührtheit und
Grossartigkeit, aber auch das einfache Leben
und Arbeiten der Bauern und Hirten mit
ihren Herden, die in dieser strengen Welt
tätig waren und sich zu behaupten wussten.
Dazu kam das Licht, die strahlende Trans-
parenz der Atmosphäre, die nicht nur die
mächtigen Gipfel, sondern jeden Gegenstand
zum Ereignis machen. Das Lichterlebnis
spielte ja auch bei seinen Generations-
genossen Gauguin und Van Gogh eine
wichtige Rolle. Man darf wohl behaupten,
dass bei keinem Künstler vor Segantini die
Welt des Hochgebirges so entscheidend
das Werk bestimmt hat. Nur Ferdinand
Hodler, der gleichen Generation angehörend
(geboren 1853), lässt sich in dieser Be-
ziehung mit ihm vergleichen, wobei zu
bedenken ist, dass Hodler Segantini um zwei
für ihn entscheidende Jahrzehnte überlebt
hat. Im Bestreben, der Helligkeit der Farben
im Licht und der Durchsichtigkeit der Atmo-
sphäre gerecht zu werden, gelangt Segantini
zu einer eigenartigen Maltechnik. Er setzt
längliche Pinselstriche reiner Farbe neben-
einander und überlässt es dem Auge des
Betrachters, die Mischung vorzunehmen.
«Das Mischen der Farbe auf der Palette führt
dem Dunkeln entgegen; je reiner die Farben
sind, die wir auf die Leinwand bringen,
um so besser führen wir unser Gemälde dem
Licht, der Luft und der Wirklichkeit ent-
gegen». So äussert sich der Künstler selber In
einem Brief an einen Kunstkritiker. Es handelt
sich also um eine sehr persönliche Form
von Divisionismus, wie er ungefähr gleich-
zeitig von den Neo-Impressionisten prakti-
ziert wurde. Doch sind Beziehungen
Segantinis zu den Künstlern dieser Richtung
schwer nachzuweisen; auch ist seine Technik
so persönlich und so sehr im Laufe der Zeit
aus seinen künstlerischen Absichten heraus-
gewachsen, dass sich die Übereinstimmung
wohl eher aus der Zeitgenossenschaft als
aus direkten gegenseitigen Beziehungen
erklären lässt.
In der Sammlung des Kunsthauses war
Segantini bis jetzt vertreten durch eine sehr
schöne und typische Landschaft aus Savognin
mit einer strickenden Hirtin sowie durch
zwei eindrucksvolle Nachtbilder mit den
Bergen im Schneelicht. Diese beiden
gehören zusammen und sind keine reinen
Landschaftsbilder, worauf schon die Titel
«Die bösen Mütter» und « Die Strafe der
Wollüstigen» hinweisen. Es sind vielmehr
Werke, die von indischen Märchen angeregt
sind und in hervorragender Weise die sym-
bolistische Strömung im Schaffen Segantinis
belegen.
Das Bild «I miei modelli», das die Vereinigung
Zürcher Kunstfreunde 1975 erworben und der
Sammlung des Kunsthauses als Leihgabe zur
Verfügung gestellt hat, setzt in dieser Gruppe
von Werken einen wichtigen neuen Akzent.
Der Titel schon hat etwas Programmatisches,
Bekenntnishaftes, wobei zugleich ein
Unterton von Häuslichkeit mitklingt,’der
sich beim Betrachten des Bildes verstärkt.
Dargestellt ist ein nächtlicher Innenraum,
eher Scheune als Zimmer, der nur vom Licht
einer Stallaterne erhellt ist. Ein Junger Mann,
dunkel gegen das Licht, hält sie vor seiner
Brust. Ihr stärkstes Licht fällt auf ein Junges
Mädchen, das vorgebeugt ein Bild auf einer
Staffelei betrachtet. Bei näherem Zusehen
antdeckt man im ungewissen Licht auf der
110