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wollten. Diesen Mordversuch als Rache für den Verrat an einer
Idee zu deuten, geht nicht an, da die Weiber Marie Antoinette
hatten töten wollen, gäbe man ihnen kein Brot, aber Beifall klatschten,
als Lafayette ihr auf dem Balkon galant die Hand küsste. Jedes
einzelne Weib fühlte sich von diesem Kuss geküsst und so
wurde der Hunger, der eben bereit gewesen war zu morden, von
einer Befriedigung, die dem Schoss zuteil ward, noch ein
mal besänftigt. Ein jämmerlicher Anfang für eine grosse Revo
lution. Wäre jetzt den Schreihälsen etwas zu schlucken gegeben
worden, die Revolution hätte vermieden werden können. So
nahmen denn die .Männer, die nicht mit Gesten sich abspeisen
Hessen, die Bastille und die Frauen den König gefangen. Der
Postmeister in Varennes, der den König erkannte, wäre ohne sie
machtlos gewesen. Aber noch als sie vor die Pferde sich warfen,
nannfen sie ihn ihren guten dicken Papa, den sie gern hätten am
Leben gelassen, wenn er sie nur besser regaliert hätte, und als
sein Kopf fiel, weinten viele von ihnen. Olympe de Gougez,
eine der hitzigsten republikanischen Schreierinnen, jammerte er
schon vor dem Konvent, dem sie sich erbot, den König zu vertei
digen, obwohl sie wusste, dass sie dadurch ihren Kopf gefähr
dete. Um das Menschliche zu glauben, dürfte man ihr republi
kanisches Feuer nicht bezweifeln können. Es ist ein Wider
spruch, der dadurch entsteht, dass das Gegensätzliche je ein Zu
viel enthält. Er wird noch deutlicher in Theroigne de Mericourt:
die heissblütige Flämin, welche das königstreue flandrische Re
giment zu überreden wusste, die weisse Bourbonen-Kokarde mit
der revolutionären Trikolore zu vertauschen, wurde irrsinnig, als
ein paar neidische Weiber und deren Kumpane sie im Tuilerien-
garten umzingelten, ihr die Röcke hoch hoben und sie auf
den nackten Körper prügelten. Was einen Mann nur noch lei
denschaftlicher emporgetrieben hätte, raubte ihr den Verstand,
der unter einer unkörperlichen Demütigung nicht hätte zusammen
brechen können, wäre er wirklich einer gewesen. Die Frau, deren
Körper die Soldaten überredete, ging an ihrer Scham, die gleich
falls keine war, zugrunde. Madame de Stael, die Napoleon aus
Frankreich verbannte, da er sie für gefährlicher hielt als ihre Bücher,
blieb dadurch vielleicht ein ähnliches Schicksal erspart. Sie hätte
es gerechtfertigt. Man brauchte nicht zu wissen, dass ihre Bü
cher ohne Rousseau, Montesquieu, de Narbonne und besonders
ohne den genialischen Benjamin Constant ganz anders oder über
haupt nicht geschrieben worden wären, auch nicht, dass diese
Salon-Trikoteuse schliesslich Royalistin wurde; um von ihrer
hysterischen Richtungslosigkeit, die ihr auf dem brennenden Bo
den von Paris zumindest ein groteskes Ende gebracht hätte, über
zeugt zu sein, genügt es, eines ihrer so gern kolportierten Bon
mots gehört zu haben. Um wieviel besser waren nicht jene