Volltext: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Juniheft)

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ihnen bekämpften Leiter ihrer Todesschicksale. Doch selbst die bescheidene 
Forderung des Klassenkampfes ist eine sehen historische Forderung, und 
sie ernsthaft zu stellen und laut auszusprechen war nur möglich in einer Zeit 
von verhältnismäßig großer Freiheit. Das alles geht heute nicht mehr, das 
alles hilft heute nicht mehr, das alles gilt heute nicht mehr. Wie billig, bequem 
und roh, wie unverantwortlich und menschenunwürdig: alle unsere Er 
wartungen, Hoffnungen, unsere drängendsten Aufgaben abzuschieben auf 
das organisierte Proletariat! Wie aussichtslos verrucht der feige Wunsch: 
den organisierten Arbeiter einzuspannen als todgeweihtes Tier in den Beutezug 
unserer Änderungslust — und dann tatenlos von ferne zuschauen, wie der 
Verhungerte noch im Maschinengewehrtode für uns siegt! Aber das wird 
nicht sein. 
Wir müssen höher und viel tiefer steigen. Die nächste lebendige For 
mel über den Erdball hin, die den Menschen wieder in die Mitte des 
Lebens fordert, heißt heute: Sklavenaufstand. 
Schon heute, noch mitten im Krieg, finden wir es merkwürdig, und 
nach dem Staub der subalternen Registraturen schmeckend, daß man frü 
her jene Bewegungen, die auf eine höhere Ordnung der Erde hinzielen — 
Ziele, die heute jedem Spießbürger sehnsüchtig klar scheinen — mit un 
positiven Schreckbezeichnungen benannte. Der französische Gewerkschafter 
Lagardelle hat (mit Parteinahme für die Gewerkschaft) die Ziele zweier 
gesellschaftskritischen Bewegungen gegenübergestellt, das des klassen 
kämpfenden Syndikalismus auf der einen Seite, und ihm gegenüber das 
der unbedingten Freiheitsforderung. Nach seiner klaren Formulierung gilt 
für den Syndikalismus: «Die soziale Frage ist eine Arbeiterfrage. Der Feind 
ist der Angehörige der andern Klasse. Das Ziel wird durch Entwicklung 
des Klassenbewußtseins erreicht. Der Ausgangspunkt ist das Interesse der 
Gesamtheit.» Dagegen gilt für die Freiheitsbewegung: «Die soziale Frage ist 
eine Menschheitsfrage. Der Feind ist der befehlszwingende (autoritäre) 
Mensch, zu welcher Klasse er auch gehört. Das Ziel wird durch Entfaltung 
des Menschheitsbewußstseins erreicht. Der Ausgangspunkt ist das Einzel 
interesse. » — Man sieht bei beiden Richtungen ihre menschheitlichen 
Qualitäten und ihre staubigen Einseitigkeiten. Heute geht uns die Diskus 
sionsnervosität vergangener Denkschlachten nichts mehr an. Wir haben zu 
Fürchterliches durchgemacht und mit angesehen auf dieser Welt, als daß 
uns der Satz «Ausgangspunkt ist das Einzelinteresse» nicht heute kindlich 
blödsinnig erschiene. Wir haben zu große Hoffnungen für die Zukunft, als 
daß wir nicht das Wort: «Ausgangspunkt ist das Interesse der Gesamtheit»
	        
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