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„Es geht ununterbrochen. Ununterbrochen! Jeden Tag werden durch
schnittlich acht bis zehn Selbstmörder eingeliefert . . . Vor dem Kriege
einer, höchstens zwei im Tage.“
„Jeden Tag acht? Allein in Berlin?“ Dabei werden längst nicht alle
Selbstmörder ins Leichenschauhaus gebracht, weiß ich aus Erfahrung,
dachte der Anwalt. „Elektrisches Licht ist auch hier?“ , . . . Weshalb frage
ich das?*
Ein paar Sekunden blieb es still im Schauhause. Die Morgendäm
merung lag noch über den Leichen, schmolz sie zusammen zu einer
dunklen Masse.
„Ja, auch elektrisches Licht . . . Und rollbare Pritschen. Elektrische
Weckapparate. Dynamoventilatoren. Überhaupt das Allerneueste auf
diesem Gebiete . . . Dieses Luftsaugröhrensystem ist ganz neu.“ Er stand
müde auf, drehte am Schalter; drei Bogenlampen zischten, spritzten grell
weißes Licht:
die zwanzig Leichen schienen lebendig geworden zu sein. Stille und
wilde Gesichter. Manche sahen aus, als wollten sie etwas sagen.
„Auch ein Sauerstoffapparat für die mit Gas Vergifteten ist da. Und
ein kleines Wartezimmer für die Angehörigen. Nebenan wohne ich.“
„Wohnen Sie? . . . Alles tadellos.“ . . . Was geschieht mit diesem
Volke? Warum ruiniert man dieses Volk? Dieses geduldige, fleißige,
tüchtige, temperamentlose, gründliche Volk, das protestlos alle Qualen des
Daseins trägt und protestlos stirbt, an der Front und in der Stadt. Dieses
Duldervolk, dem mit Hilfe des denkbar raffiniertesten Systems das Denken
und damit schon von vornherein jeder Einzelprotest unmöglich gemacht
worden ist . . . Wenn es endlich einmal protestiert, wird sein Protest ge
duldig, fleißig, tüchtig, temperamentlos und ungeheuer gründlich, unge
heuer blutig sein . . ., falls seine Herren in dem von Gott gesetzten Augen
blick nicht freiwillig gehen.*
Ohne gefragt worden zu sein, sagte der Wärter: „Ich führe eine Sta
tistik der Todesarten Berliner Selbstmörder. Momentan habe ich drei
Erhängte, fünf Wasserleichen, zwei Giftleichen, sieben Gasleichen, drei,
die sich aus dem Fenster gestürzt haben, und nur einen, der sich er
schossen hat; einen Soldaten, der auf Urlaub war. Dort liegt er . . . Die
Pritschen reichen nicht mehr aus. Am häufigsten sind die Gasleichen.“
„Weiß man, weshalb sich der Soldat erschossen hat?“
„Wird seine Frau nicht so vorgefunden haben, wie sich das gehört.
Oder er wollte nicht mehr hinaus. Viele wollen nicht mehr hinaus . . .