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fordert. Wie Aphrodite aus dem Schaum, 
steigt das Weib aus der Wäsche. Dieser 
Hauch ihres Leibes ist mehr als eine Geste 
ihrer Hand. Das zeigt mir die verflucht 
bewegten Landschaften, wo es keine starren 
Formen mehr gibt. Die Kleider schmiegen 
sich und die Falten singen.“ Die Ekstase 
des Dr. Billig dauerte eine Viertelstunde, 
dann warf er plötzlich seine Kleider ab 
und turnte eine Zeitlang nach Müllers Sy 
stem. Er hatte die Fenster weitaufgesperrt, 
die Gärten standen in voller Blüte. Irgend 
wo wurde ein Kind geprügelt und man 
hörte die keifende Stimme einer Frau. Die 
Wirtin klopfte, als Billig seine Reithosen 
anzog. Sie sagte: „Hören Sie mal, ein so 
junger Mensch und so schläfrig. — Sie soll 
ten sich^ flj ah luftig ^besser ein- 
zu schweigen. Diese Zwickmühle hätte die 
sen und jenen zur Verzweiflung gebracht — 
aber Billig war ein heroischer Mensch. In 
der Küche fand er einen Abreißkalender, 
auf dem groß mit roten Buchstaben der 
Name Anny stand. Er besann sich auf Anny, 
die Tochter der Wirtin, und dachte .zugleich 
an Anny, die fünfjährige Stute, die heute 
Freund Callius in Hoppegarten laufen ließ. 
Das entschied plötzlich, der Plan war da. 
Auf der Straßenbahn traf er den Dr. Ohr 
mann, der eben von seiner Hochzeitsreise 
zurückkehrte und strahlend von einer neuen 
Wohnung erzählte. Billig lächelte bösartig. 
Das verdutzte den anderen so, daß er 
schwieg und tief in die Falten seines Stra 
ßenanzugs kroch. Billig traf auch die Ko 
kotte Kitty, die seinerzeit den sprechenden 
Hund mitgestartet hatte und zuhause über 
ihrem Bett eine Urkunde bewundern ließ, 
die ihr die Achtung eines bedeutsamen Ko 
mitees vermittelte, sie sei eine Züchterin 
erster Klasse. Billig lachte herzlich, wenn er 
an diese abenteuerliche Erscheinung dachte. 
Billig traf ferner den Oberkellner Mr. Wengs, 
der vor dem Kriege eine Seifenraffinerie jn 
Manchester besaß, eine Zeitlang in Ruhleben 
gesessen hatte und jetzt davon lebte, daß 
er Brotkarten unter der Hand verkaufte. Er 
wollte dem Billig, der sehr schnell vor 
beiging, noch etwas in die Tasche stecken, 
um ihn zu verpflichten, aber es gelang ihm 
nicht. Der Zug nach dem Rennplatz jwar 
so stark besetzt, daß die Glieder und Köpfe 
der Menschen aus den Fenstern heraus 
quollen. Die Pfeifen schrien in dem großen 
Wellblechkasten. Eine Maschine ließ un 
vermutet ihren ganzen Dampf ab, eine un 
erhörte Badeanstalt breitete sich aus. Billig 
hörte deutlich das Plätschern der Schwim 
menden, und einmal fiel ein schwerer Ge 
genstand mit einem Knall aufs glatte Was 
ser, daß die Leute ihr Entsetzen hinaus 
schrien. Billig hatte einem dicken Weib 
einen Stoß 'vor den Magen zu geben, bis er 
nach langem Suchen einen Platz im' Pack 
wagen fand. Es war dort anfangs sehr dun 
kel, bald aber gewöhnten sich die Augen 
an das Licht. Ein unverschämter kleiner 
Junge mit einer Schülermütze pfiff ohne 
Unterbrechung: Haltet aus, haltet aus im 
Sturmgebraus — bis ihm endlich Billig, der 
dem Wahnsinn nahe war, einen Tritt ins 
Gesäß gab. Das Kind schrie, als wäre es 
unter die Möfder gefallen. Die Mutter hetzte 
die Menschen gegen Billig auf, er sei ein 
roher und ungebildeter Mensch. „Ja — da 
gehen sie mit der Miene eines studierten 
Mannes umher -^Tfrenn es aber darauf an- 
m sI^kۀiO[i^^I|pien Kin- 
leife^d*^ Ctow'ImI willst. Das 
Pfeifen kann keiner dem andern verbiete! 
Wenn es dep^^iäfSicl 
Herr ja den! 
Ganz hinten 
ähnlichen Kiste gab es zwei Menschen, die 
Billigs Partei ergriffen. Es handelte sich 
um Lilly und Fritz, das geniale Tänzerpaar 
aus dem Wintergarten. Billig hütete sich 
aber, sich auf sie zu berufen; denn er 
wußte, daß sie jede Gelegenheit benutzen 
würden, um ihn anzupumpen. Die Luft 
wurde erstickend, ohne daß man etwas da 
zu tun konnte. Man saß in einem 1 Grabge 
wölbe, das zuweilen von Fackeln erhellt 
wurde — Streichhölzer, mit denen man die 
Zigarren anzündete. Billig fand den Renn 
platz ganz ausgezeichnet. Die grünen Rasen 
plätze wußten ihn zu beruhigen — man 
betrachtete mit einer willkommenen Ermü 
dung die Kleider der Frauen, die sich hier 
mit einer prätendierten Energie bewegten. 
Dann aber schellte es aus der Höhe, Billig 
suchte nach Takahaschi, dem Jokei des Dr. 
Callius. Takahaschi war ein Japaner von 
Geburt; d. h. seine Mutter konnte ihre Ber 
liner Herkunft nicht verleugnen. Der Vater 
stammte vom Fuße des Fudshi — Takaha 
schi selbst blieb als Klischee aller japani 
schen Eigenarten bewunderungswürdig. Er 
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