Die Flucht zum Grunde.
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Ich wußte nicht, daß der Leib Christi wächst in seinem Leben
und in seinem Tode; daß er stets neue Glieder ansetzt und neue
Augen aufschlägt. Heute, als ich durch einen Rebengang ging,
klang es mir auf: der Leib Christi dränge in euch zu neuer Ge
burt, zu neuen Organen, zu neuer Lebendigkeit...
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Joannes Klimax und Thomas a Kempis waren sechzig Jahre
alt, als sie die „Scala Paradisi“ und die „Imitatio Christi“ schrie
ben. Vor Gott waren sie immer noch Kinds genug.
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In seiner Abhandlung über die „Asketischen Ideale“ glaubt 22.
Nietzsche, das Christentum verabsolutiere die Wahrheit, die
Wissenschaft. Das ist keineswegs richtig; oder aber es ist eine
Wahrheit und eine Wissenschaft, die einen anderen Sinn haben
als den von ihm angenommenen. Vielleicht verabsolutiert das
Christentum nur das inkorrupte Bild (so wenn es vom hl. Lukas
heißt, daß er ein Maler gewesen). Oder es verabsolutiert das
Wort (Logos), wie im Evangelium Johannis zu Anfang zu lesen
ist. Wort und Bild: das ist aber nicht die Wissenschaft, sondern
das ist die Kunst. Freilich, eine Religion, die ganz auf Leben und
Sterben in ihren letzten Extrakten gerichtet ist, wird eine andere
Kunst (und eine andere Lebenskunst) haben, als eine Zeit, die
den Tod bis ans Ende verschiebt.
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Mit der moralischen Beschneidung im Neuen Testament ist
eine Befürwortung der Idiotai verbunden, dem alexandrinischen
Wissenskult gegenüber. Auch dies spricht gegen Nietzsches Be
hauptung. Die Kirche ist notwendig der Gegner der Akademie.
Es kann nicht zwei objektive Wissenschaften geben, von denen